So gegen drei werde ich wach. Josh ist bei der Nachtwache eingenickt. Nervös werfe ich ein Blick auf unsere Ausrüstung & Motorräder. Alles noch da. Die Glut des Feuers wirft auch jetzt noch einen schwachen Lichtschein über unseren Lagerplatz. Es ist bis auf die üblichen Standart Geräusche ruhig. Hunde bellen ununterbrochen und hier und da beschwert sich ein Yak über dies und das. Ich lege mich wieder hin. Ausgeraubt werden wir wohl heute Nacht nicht mehr. Trotzdem verfalle ich in einen nervösen Schlaf, der mich alle 5 Minuten wieder aufschrecken lässt. Gegen halb 6 wird es langsam hell und ich genieße die letzten Stunden Schlaf. Um 8 werde ich erneut wach und bin das ständige Einschlafen leid. Mühsam pelle ich mich aus dem Zelt. Immer bedacht darauf dies möglichst leise zu erledigen, um Josh nicht um seinen Schlaf zu bringen. Es ist schön warm draussen. Ich erblicke den Fluß keine 100 meter weit von unserem Rastplatz entfernt. Die Lust ein wenig zu schwimmen und mich dabei zu waschen, lässt mich voller Vorfreude hinter einem Baum verschwinden, um den drängen des Darms nachzugeben. Dreist werde ich dabei von einem wilden Hund beobachtet, der es noch vorzieht nach dieser kalten Nacht etwas in der Sonne liegen zu bleiben. Es ist ein schönes Tier. Immer wieder erstaunlich wie manche Hunde es schaffen trotz der Bedingungen des Landes wohl genährt auszusehen. Er hat etwas von einem Labrador.
Frohen Mutes begebe ich mich zum Fluss. Mit Trekking Handtuch (20x30cm) Zahnbürste, Zahnpasta und Outdoor Seife bewaffnet. Vorsichtig tunke ich meinen großen Zeh ins kristallklare Wasser. Kälter als ein Gebirgsbach in der Schweiz im Winter. Verwundert wiederhole ich die Prozedur. Nein mein Gefühl täuscht mich nicht. Dieser Fluß ist unglaublich kalt. Baden fällt ins Wasser. Fröstelnd kämpfe ich mich auf eine kleine Insel am Ufer. Dabei stehe ich teilweise Knietief im Wasser und spüre wie meine Waden sich krampfartig zusammenziehen. Es brennt richtig. Beim Zähneputzen bestehe ich auf eine Abhärtung und stehe volle 3 Minuten lang im kalten Wasser. Danach sprinte ich zurück auf „meine“ Insel und genieße zitternd die jetzt noch wärmeren Sonnenstrahlen. Ich beäuge meine Outdoor Seife. Wirklich Lust mich zu waschen habe ich nicht mehr. Doch ich zwinge mich dazu. Mein Körpergeruch wäre jetzt schon in Deutschland nicht mehr tragbar.
Josh wird wach als ich zurückkomme. Er geht auch runter zum Fluss. So kalt wie ich es beschrieben habe, meint er, ist es nicht.
Wie jeden Tag checken wir auch an diesem Morgen unsere Maschinen durch. Dies nimmt diesmal sehr viel Zeit in Anspruch. Gut 45 Minuten ziehen wir alle Muttern fest. Natürlich müssen wir dabei mit über 12 verschiedenen Schraubenschlüsselgrößen arbeiten, weil die chinesichen Maschinen über eine breitgefächerte Variation an Muttern, ihrem Besitzer das besondere etwas bieten. Für den Kenner unersetzbar sind die Größen die scheinbar zwischen 12 und 13 liegen. Bedient man nun so eine 12,5 Mutter mit einem 13er Schlüssel so wird es einem schnell klar, diese Schraube ziehe ich max. noch 2 mal fest.
Wir verlassen unser Camp. 3 Kilometer fahren wir auf ätzendem Kies mit stellenweise riesigen Schlaglöchern. Schnell stellt sich heraus, dass ich heute nicht gut gepackt habe. Ich muss ständig absteigen und alles wieder fest machen. Dabei könnte ich schwören, dass ich nicht anders gepackt habe als die Tage zuvor. Die Straße wird immer abenteuerlicher. Wir fahren an felsiegen Hügeln vorbei, am Horizont sind große Berge zu erkennen. Mitten aus dem nichts erscheint eine abgesperrte Asphalt Straße. Wie in der Mongolei üblich ist ein Sperrschild nicht mehr als ein lästiges Hinderniss. Irgendwer hat bereits eine „privat Auffahrt“ mit Hilfe eines großen Erdhaufens geschaffen. Dankbar lenken wir unsere Maschinen auf den schönen, glatten und noch vollkommen Schlagloch freien Asphalt. Ein Blick auf dass Tacho zeigt mir flotte 50 km/h an. Relaxt tastet mein Blick die Landschaft ab. Die Maschine vibriert angenehm und ein drehen am Gas lässt sie freudig aufheulen.Es ist noch kühl und stellenweise kommen uns heftige Böhen entgegen… Moment waren da eben 50 km/h auf dem Tacho?? Verwundert schaue ich auf meinen Drehzahlmesser, was bei nun Tempo 60 immer noch brav auf 3000 Touren verweilt. Selten habe ich auf der Reise so ein Glücksgefühl verspürt. Warum auch immer ist der seltsame Fehler behoben, der mich seit Tagen zwingt 40 km/h genaustens einzuhalten. Hat es vllt. etwas mit dem nerviegen Mongolen von gestern zu tun? Immerhin war er 10 Minuten mit meiner Maschine unterwegs und verschwand mit dieser in einer Jurte. Dafür kann ich gut auf meine Kopflampe verzichten…
Die Straße wird immer besser. Wir nähern uns einer großen Ortschaft. Laut Josh kann es Tzetzerleg nicht sein. „Dafür haben wir zu wenig Kilometer zurückgelegt.“ Ich bin skeptisch. Was sich hier vor uns auf tut ist kein Dorf sondern eine Stadt. Laut Karte kommt da keine größere Stadt vor Tzetzerleg. Wir beschließen zu fragen. Wir fahren durch eine Baumallee. Die Straßen wirken modern und gepflegt. Ein eher seltenes Bild in der Mongolei. Im Stadt Kern begenen uns zwei Polizisten. Sie schlendern über den Bürgersteig und beäugen uns als wir an ihnen vorbei fahren. Ich werde nervös. Fahren wir ja schließlich immer noch ohne Nummernschild durch die Gegend. Doch sie schreiten nicht ein. „Noch mal… nein… schon wieder glück gehabt“ denke ich. An einer Einkaufsmeile mit Pubs halten wir an. Schnell finden sich ein par englisch sprechende Mongolen. Wir fragen mehr mals wo Tzetzerleg liegt und bekommen immer die gleiche Antwort. Die Arme der gefragten deuten zum Berg an dessen Rande die Stadt liegt.
Der Wind wird immer heftiger und es fängt leicht an zu regnen. An der letzten Tankstelle vor dem Berg machen wir halt. Es regnet nun in strömen und der Wind ist so stark, das man sich dagegen lehnen könnte. Wir beschließen uns ein Restaurant zu suchen und drehen um. Bei der suche fahren wir noch dreimal an den Polizisten vorbei. Es wird schon fast peinlich.
Wir kehren in einem Hotel ein. Unsere Maschinen dürfen wir im Hinterhof neben dem Wachhund abstellen. Schnell bestellen wir uns etwas. Es tut gut mal wieder etwas warmes in Ruhe essen zu können. Besonders natürlich wenn man bei so einem Wetter im trockenen sitzt.
Der Regen lässt nach und die Sonne kommt wieder zum Vorschein. Wir wollen heute noch nach Tzetzerleg. Weiter gehts!
Es ist wunderschön über den Berg zu fahren. Die Straße ist zwar steil und nur mit Kies bedeckt aber dafür gut gesichert und breit. Allerdings ist immer noch etwas frisch und windig. Als wir den Berg überwunden haben ziehen wir uns Handschuhe und Jacken an.
Der Schotter macht mir gut zu schaffen. Ständig komme ich ins trudeln. Josh macht es einen heiden spaß. Gott sei dank hört es bald auf und wir dürfen auf einer wunderbaren asphaltierten Straße fahren. Sie sieht sehr neu aus und wurde sehr hoch gebaut. Auf beiden Seiten geht es gut 2 meter 50 steil runter. Dies macht das ganze nicht gerade ungefährlich. Zu allem Überfluss steht eine Ziege am Straßenrand und entscheidet natürlich in letzter Sekunde die Straße zu überqueren. Was sie sich dabei dachte? Jedenfalls flog ich fast von meinem treuen Gefährt. Eine brenzliche Situation.
Keine 4 Kilometer gibt Joshs Maschine ihre Entrüstung preis indem sich eine Feder verabschiedet. Wir fahren die letzten Meter in ein kleines Dorf. Gepäck erstmal runter von unseren Maschinen um an Werkzeug zu kommen. Wiedermal erleben wir den „Zooeffekt ohne Käfig“. Das ganze Dorf scheint sich die Mühe gemacht zu haben uns seelischen Beistand zu leisten. Unbeholfen wie vor einer Woche sind wir nicht mehr. Geradezu souverän löst Josh die kaputte Halterung der Feder vom Rahmen und zückt aus der Seitentasche ein brandneue hervor. Ich nutze die Zeit um zu fragen wo es nach Tzetzerleg geht. Die Karten erleichtern dies um einiges. Ich tippe mit meinem Finger auf die Stadt. Mehrere Hände deuten in die Richtung aus der wir gekommen sind. Ernüchterung. Wir sind durch Tzetzerleg durchgefahren und haben es nicht einmal gewusst. Nach Ulan-Bator (die in einer ganz anderen Liga spielt) einer der größten Städte der Mongolei. Mit einem Schulterzucken vergessen wir es und denken ans weiterfahren. Josh will versuchen noch vorher eine neue Feder zu erstehen. Eine Stunde tingeln wir durchs Dorf. Ein Laden wird extra für uns aufgemacht der Ersatzteile anbietet. Nichts was wir gebrauchen könnten. Irgendwann verliere ich die Geduld. Ich will weiter. Wir haben schließlich noch eine neue Feder. Das muss reichen. Josh ist da nicht meiner Meinung. „Tzetzerleg war die letzte Station Julian. Was machen wir wenn auf unseren Weg noch zwei brechen, wenn die erste schon nach zwei Tagen den Geist aufgibt?“ In Gedanken schießt mir durch den Kopf… „Wird schon nicht passieren!!“ Tief im inneren muss ich Josh jedoch recht geben. Vernünftig ist es umzukehren und nochmals ordentlich Ersatzteile kaufen. Den Rückweg lasse ich jetzt mal raus. Wer will kann mein Tagebuch rückwärts lesen ab der gebrochenen Feder bis Tzetzerleg. Natürlich hat es die Ziege nicht noch einmal versucht.
Auf der Bergkuppel machen wir halt. Josh will noch ein par Fotos schießen. Meine Laune ist im Keller. Gleich werde ich den Ort erreichen wo ich vor 3 Stunden war. Ich stelle mich in der prallen Sonne auf einen Stein und lasse meinen Blick in die Weite schweifen. Ich mache ich par Bilder von mir.
Ich sehe schlimm aus wie ich feststellen muss. Jedoch Pickel habe ich gar keine. Das ist sehr verwunderlich. Schließlich habe ich fast eine Woche nicht mehr geduscht. Schlafe seid der Reise in ein und dem selben Schlafsack und wetteifer mit Josh wer seine Boxershorts länger anbehält ohne sie zu waschen.
Josh ist noch nicht zu sehen. Er fotografiert sehr ausgiebig. Das klicken der Kamera drängt sich ab und zu an mein Ohr. Trotz des klickens fühle ich mich auf einmal allein und hilflos gegen dieses Gefühl irgendetwas zu tun. 18000 Kilometer weit weg von zu Hause. Wenn man die Strecke nicht fliegt, wird einem die Entfernung nur all zu sehr bewusst. Ich stelle mir vor wie lange ich bräuchte um bekannte Gesichter zu sehen. Wäre ich Millionär so würde ich trotzdem eine Woche brauchen um hier rauszukommen. Zu meiner Liste der unkäuflichen Sachen setzte ich die Überwindung der Entfernung.
Ich beobachte den Schatten den mein Körper erzeugt, indem er die Strahlen abhält die Erde zu berühren und zu erwärmen. Mir wird bewusst. Hätte die Erde eine Gefühl so weiß ich jetzt, wie sie sich fühlen würde wenn sie der Sonne ausgesetzt ist. Ich gönne dem von mir auserwähltem Teil der Erde Schatten, indem ich wie angewurzelt stehen bleibe. Zum Abschluss mache ich eine Gruppenfoto von dem Teil Erde und meinem Schatten. Eine Träne kühlt meine Wange. Ich merke das ich ich traurig bin.
Zurück in Tzetzerleg kehren wir in dem Hotel ein, wo wir mittags bereits gespeist haben. Wir nehmen uns ein Zimmer für diese Nacht. Wir sind uns einig. Es ist eine verdiente Erholung.
Nach einem warmen Abendessen gehen wir zu Schwarzmarkt. Ich frag mich warum er so genannt. Ist doch der einzige in Tzetzerleg. Gleiches Prinzip in klein. Schiffscontainer vollgestopft mit Waren. Schnell finden wir was wir suchen. Josh bringt seine Maschine noch schnell vorbei und deutet auf den Anlasser. Wieder geht es zu wie bei einem Boxenstop. Viele Hände fuchteln durch die Gegend. Es wird mehr als lautstark diskutiert. Ein kleiner Welpe kommt heiter angerannt, gelockt von den Geräuschen. Neugierig legt er den Kopf zur Seite. Ich will mich bücken um ihn zu streicheln. Ein Fuß von links kommt mir zuvor. Der Welpe fliegt jaulend durch die Luft und landet unsanft. Ich blicke nach oben in das Gesicht eines Mongolen. Er deutet mir an, ich soll das Tier nicht streicheln. Ich vermute das er nicht um mich besorgt war, sondern vielmehr darauf hofft den Welpen zu einem guten Wachhund zu erziehen. Klar über die Methoden lässt sich streiten. Ein anderes Land, dies muss ich akzeptieren.
Josh Maschine springt nun auf Knopfdruck an. Richtig angeschlossen ist es nicht. Lichter gehen nichtmehr an. Egal Hauptsache sie fährt. Wir erstehen noch bessere Federn für die Ladys. Sie fühlen sich wesentlich robuster an. Sie werden noch auf dem Markt an Joshs Maschine montiert.
Auf dem Hof des Hotels basteln wir weiter. Schnell sind die neuen Federn auch an meiner Maschine. Ich drehe eine Runde um den Block. Sicherheitsrisiko hin oder her. Ohne Helm zu fahren ist eine sehr angenehme Sache. Die Federn sind sehr hart. Für mich fühlt es sich aber gut an. Josh ist weniger zufrieden. Er will wieder die anderen drauf schrauben.
Als ich zurückkomme ist Josh schon anzusehen, das er vor Wut brennt. Schweigend zeigt auf die rechte Seite wo seine Feder mal dran war. Die obere Halterung ist komplett rausgebrochen. Wir wissen, dass es an dem Mongolen vom Schwarzmarkt gelegen haben muss. Er hat wie ein Wahnsinniger die Schrauben fest gehzurrt. „Ich muss erstmal schlafen.“ Ich dackel Josh hinterher. Kein schöner Abend für uns. Morgen müssen wir jemanden finden, der Teile schweißen kann.